Montag, 31. Mai 2010

Neusprech für Eltern

"Neusprech" heißt die Sprache, die George Orwell in seinem famosen Roman "1984" erfunden hat, um die Bewohner seines Überwachungsstaates zu kontrollieren. Nun, wir leben zwar in einer Demokratie, aber die Sprache passt sich schon subtil der neuen Elternrolle an.
Dabei geht es nicht um solch komische Ausdrücke wie "Schnullern" oder die vielen Kosenamen auf die Eltern zur Beruhigung ihres Nachwuchses kommen. Es soll auch nicht hinterfragt werden, warum selbst Eltern kleinster Babys davon sprechen, dass ihr Kind nachts "mindestens drei Mal kommt", obwohl es doch noch gar nicht laufen kann.
Nein, hier geht es um die Eltern als zu werbende Zielgruppe für eine Unzahl von Produkten - also um das "Marketingsprech", wenn man so will, um die heillos überforderten Konsumenten, die ja nur um das Wohl ihres Nachwuchses besorgt sind, einzuwickeln.
"Nach einem Tag voller Eindrücke braucht Ihr Baby eine ruhige Nacht, heißt es da in einer Broschüre und ich bin geneigt auszurufen: "Nicht nur das Baby!"
Schön, dass unsere Frida also eine gute Nacht braucht - diese scheint aber offenbar nur mit dem "Gute-Nacht-Fläschchen" des Nahrungsmittelherstellers garantiert. Liegt das nächtliche Bauchweh also daran, dass wir noch kein "Gute-Nacht-Fläschchen" geben können, das "Ihr Baby nach einem Tag voller Abenteuer nachts wohlig satt hält" und das "Bio-Folgemilch und glutenfreien Buchweizen" enthält? Erste Zweifel kommen auf.
Weiter geht es mit dem vorbeugend schlechten Gewissen, denn wir erfahren, dass zu einem "Tag voller Abenteuer" auch ein guter Start gehört - natürlich mit dem "Guten-Morgen-Fläschchen".
Aber es sitzt einem der Zweifel ja nicht nur bei der Ernährung im Nacken: Egal ob Kleidung, Windeln oder Spielsachen - Eltern werden an allen Ecken und Enden daran erinnert, dass nur "unsere Windel" den perfekten Tragekomfort für wohliges und sauberes Liegen" bietet. Oh je.
Denn mit unseren Windeln aus dem Drogeriemarkt müssen wir da wohl oder über alt aussehen. Die sind zwar viel billiger, gleichen der Premiummarke aufs Haar und versprechen ebenfalls Schutz vor Nässe und Schlimmerem, aber ob sie wirklich so gut sind, wie der Marktführer? Wieder einmal scheinen Zweifel angebracht. Es wird also sicherlich dringend Zeit für ein neues Wörterbuch mit etwas sperrigem Titel: "Marketingsprech für junge Eltern - Verlässliches Deutsch".

(WT, 7.5.2010)

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