Montag, 31. Mai 2010

Blickwechsel


Geht Ihnen das auch so? Sie sind in einer neuen Lebenssituation und plötzlich fallen Ihnen Dinge auf, die sie vorher zwar gesehen aber nie bewusst wahrgenommen haben?
Klassisches Beispiel ist der Jobwechsel: Es treten plötzlich Dinge in den Hintergrund, die vorher immens wichtig waren und neue Sachzwänge tauchen auf, von denen man bisher gar nicht wusste, dass es die überhaupt gibt.
Noch einschneidender ist mir solch ein Blickwechsel nun durch die Geburt von Frida und die damit verbundene Elternzeit vor Augen geführt worden. Denn nichts ist mehr so, wie es einmal war – und das hat in diesem Fall einmal nichts mit Schlafmangel oder gewachsener Verantwortung zu tun..
Natürlich habe ich die Kinderwagen in der Stadt auch vorher schon bemerkt – man geht ja offenen Auges durch die Fußgängerzone. Aber waren es damals wirklich auch schon so viele oder ging mit Fridas Geburt eine generelle Bevölkerungsexplosion einher?
Haben deutsche Autobauer gerade Sondermodelle aufgelegt oder warum habe ich das Gefühl, dass auf jeder Rückbank mindestens ein Kindersitz montiert ist? Ungelogen: In fast jedem Auto!
Ist es wirklich so, dass Aufzüge in Kaufhäusern schlecht zu erreichen und permanent überfüllt sind? War es schon immer der Fall, dass Autofahrer ohne Rücksicht auf Verluste an den abgesenkten Bürgersteigen parken, so dass Fahrrad-, Rollstuhl- und Kinderwagenfahrer nicht durchkommen?
„Man sieht nur das, was man entweder gezeigt bekommt oder was einen betrifft“, lautet eine Lebensweisheit, die auf dieses Phänomen recht gut zu passen scheint.
Oder – etwas hochgeistiger: „Das Sein bestimmt das Bewusstsein“, hat der alte Charly Marx festgestellt und wir wollen – auch wenn der 1. Mai nahe ist – nicht über die politische Aktualität dieser Aussage diskutieren. Aber bezogen auf meine jetzige Situation lag der Philosoph aus Trier überwiegend richtig: Das Vater-Sein und vor allem die dauerhafte ganztägige Betreuung der kleinen Frida beeinflusst das Bewusstsein und ermöglicht damit einen Blickwechsel.
Aber das, so habe ich bemerkt, relativiert sich auch irgendwann. Denn komischerweise fallen mir schwangere Frauen im Vergleich zu früher schon gar nicht mehr auf. So schnell kann das gehen mit dem Blickwechsel. 

(WT, 30.4.2010)

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