Donnerstag, 3. Juni 2010

Gedankenspiele und Karriereziele


Es ist eines der bestgehüteten Geheimnisse der Menschheit: Was denken sich eigentlich Babys, die mit rund 12 Wochen und vier Tagen arglos schlummernd oder auch aufmerksam schauend in ihrer Wiege liegen?
"Nichts", lautet die eine Möglichkeit, die aber von der Neurophysiologie, der Psychologie und den Erziehungswissenschaften vehement bestritten wird. Die Naturwissenschaften erklären uns, dass sich durch aufmerksames Spielen, Lachen und Konzentrieren viele Synapsen erst ausbilden und dadurch das Denken überhaupt ermöglicht wird.
Die Psychologen sind sich sicher, dass nur die Ansprache und das Verständnis den Menschen zum Menschen (und damit auch das Baby zum Baby) machen. Und die Pädagogen erklären sowieso alles mit der richtigen Umgebung bzw. der Sozialisation vom ersten Tag an.
Stellen wir uns also mal vor, dass dies die Kriterien sind, die unsere kleine Frida an ihre Umgebung anlegt. An denen sie die Gespräche der Menschen, die auf sie einreden und die von oben in den Wagen schauen, misst.
Denken Sie jetzt auch, was ich denke? Ohne das zweite Gebot zu verletzen, kann man da nur ausrufen: Oh mein Gott - das arme Kind. Denn was sich so über Wiege und Kinderwagen beugt, erfüllt wohl selten die oben beschriebenen Anforderungen der Wissenschaft.
Was soll Frida denken, wenn sich zu gleichen Teilen von Männern und Frauen fachmännisch ausgetauscht wird: "Ganz schön groß geworden in den drei letzten Tagen." "Stimmt, und das Gesicht, so anders!"
Die Vielstimmigkeit kennt bei der "Frida-Beobachtung" keine Grenzen: Das arme Kind wird jeden Tag mit der Tatsache konfrontiert, es sei "ganz der Vater", habe aber "die Nase der Mutter". Eigentlich heißt es ja, solche Reden förderten die frühkindliche Entwicklung, manchmal scheint diese Art der Ansprache aber der direkte Weg in die Depression zu sein.
Zum Glück wird in unserem Verwandten- und Freundeskreis kaum das berühmte "Duzi-Duzi-Du" verwendet, auch das beliebte "ei-wo-isse-denn-die-kleine-Frida" wird selten bemüht (wo sollte sie auch sein, außer im Kinderwagen?)
Andererseits, wo kämen wir hin, wenn jeder Bewunderer einen intellektuellen Diskurs mit unserer Tochter führen würde. Am Ende landete das arme Kind in den gleichen brotlosen Studien wie Mutter und Vater und würde uns ewig auf der Tasche liegen.
Nein, ein bisschen Albernheit, Schabernack und dummes Zeug schadet gar nichts: Schließlich werden die Privatsender in unserem Land immer wirkmächtiger - und wer möchte schon eine kleine Klugscheißerin und Außenseiterin großziehen? Sehen Sie: Egal was die Wissenschaft sagt: "Duzi-Duzi-Du" ist also definitiv entwicklungsfördernd - und wie!

(WT, 3.6.2010)

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